Broders Spiegel: Wirklichkeitsallergiker
Dass der Verfassungsschutzpräsident, der Bundesinnenminister und die Bundeskanzlerin ein Filmchen unterschiedlich beurteilen, ist ja eigentlich nicht so ungewöhnlich. Viele Menschen sehen den selben Film und wenn man sie danach fragt, wie er gewesen sei, denkt man, sie hätten alle etwas Unterschiedliches gesehen. Nur im Falle einer Bundesregierung hätte man sich vielleicht vor den lautstarken öffentlichen Bewertungen erst einmal darüber unterhalten können, was eigentlich wirklich passiert ist.
Zunächst kann man ja keiner Interpretation trauen, denn sie sind alle interessengeleitet. Aber irgendwie hat Seehofer nicht Unrecht mit seiner Aussage, die Migration sei die Mutter aller politischen Probleme. Er hat von politischen Problemen gesprochen und nicht von der „Mutter aller Probleme“ wie es in der Presse oft unzulässig verkürzt hieß. Deutschland ist doch seit der Wiedervereinigung noch nie politisch so durcheinandergewirbelt worden, wie in den letzten drei Jahren. Woran liegt das denn sonst, wenn nicht an der Art der Zuwanderungspolitik?
Es wird sich nichts ändern, ehe sich in der Regierung nicht die Einsicht durchgesetzt hat, dass die eigenen Fehler in dieser Frage der wesentliche Auslöser für viele der Entwicklungen waren, die jetzt lautstark beklagt werden. Es ist wie bei einem Alkoholiker oder Drogensüchtigen. Dem kann man erst helfen, wenn er selbst eingesehen hat, dass er alkohol- oder drogenabhängig ist. Doch die meisten verantwortlichen Politiker leiden derzeit an einer Wirklichkeitsallergie und bevor sie nicht einsehen, dass sie Wirklichkeitsallergiker sind, kann man an diesem Zustand nichts ändern.